Gerade mache ich eine Mittagspause im Youth and Environment Office, höre Thurston Harris mit Little Bittle Pretty, wippe mit den Beinen im Rhythmus und strahle übers ganze Gesicht. Wer hätte gedacht, dass hier im Herzen Ghanas irgendwann mal ein Obroni-Mädchen zwischen Palmen und Häusern zu 50er Jahre Musik abdancet? Ich jedenfalls nicht, aber hier sind schon so viele Dinge passiert, dich ich in den letzten Jahren noch unter - Sehr schwer vorstellbar – eingeordnet hätte.
Alles begann schon während Ende des Studiums mit einer Veränderung in mir, die alles ins Rollen brachte. Zuerst mussten die langen Haare ab, um auch der Außenwelt kenntlich zu machen: Da ist was passiert – vor euch steht nicht mehr die kleine Anci, die vor kurzem noch die Zuckertüte oder das erste Mal ihren eigenen Führerschein in der Hand hatte. Sie hatte in den letzten Jahren wohl eher Zettel und Stift zwischen den Fingern, um sich gemachte Fehler zu notieren, sie zu reflektieren, nicht mehr zu wiederholen und daran zu wachsen. Doch mit der zunehmenden Beantwortung der Frage, wo komm ich gerade her, eröffnete sich zwangsläufig die nächste: wo will ich hin? Lange zurückgestellte Sehnsüchte und Bedürfnisse brachen so wieder in die Fassbarkeit des Bewusstseins und wurden mit jedem weiteren Tag präsenter. So kam es wie es kommen musste, mit dem Staatsexamen in der Hand packte ich meinen Rucksack und machte mich auf, den Horizont unter dem ich lebe zu ergründeln. 800km zu Fuß durch Spanien brachten mir dann Klarheit: Ich hab Fernweh und der Horizont, den ich momentan noch den meinen nenne, erdrückt mich.
Was nützen einen Erkenntnisse, wenn man es nicht vermag sie zu verwirklichen? Also nicht gezögert, sondern gehandelt! Kaum richtig zu Hause, ging es wieder auf den Weg durch dieses und jenes europäisches Land, um dann, schlussendlich im August den Flieger gen Abenteuer zu nehmen.
Abenteuer daher, weil ich noch keine genau Vorstellung von dem hatte, was mich hier erwartet.
Abenteuer daher, weil es eine Möglichkeit ist zu schauen, was einem im Leben wichtig ist und was nicht.
Abenteuer daher, weil ich hier in der Fremde die Chance habe, genauer zu herauszufinden, wer und wie ich genau bin.
Die ersten drei Monate war das Zusammenleben hier eine große Herausforderung, da sich kein kleiner gemeinsamer Nenner finden lassen konnte, den ich mit der Familie gemein hatte. Doch während ich am Anfang noch meinem alten Muster des Akzeptierens folgte, wuchs ich proportional mit den sich häufenden Problemen, so dass ich die Stärke fand, nicht die Probleme zu Fokussieren, sondern Lösungsmöglichkeiten. Ich schrieb Mails, organisierte, hatte Gespräche und letzten Endes konnte ich ohne große Probleme ausziehen. Ein Schritt, der nicht anders zu benennen ist als mit: Der einzig Richtige. So fand ich eine Freundin, Vertraute und lebe in einer Deutsch-Ghanaischen Traum-WG in der ich ein Teil des Lebens bin und nicht weiterhin isoliert.
Prägend war auf jeden Fall auch meine Schulerlebnisse hier. Mal abgesehen von den Fächern die ich Unterrichtete, war das Schulgeschehen als solches sehr kontrovers. Auf der einen Seite standen die Kinder, mit denen die Arbeit wirklich viel Spaß machte, bei denen man jedoch lernen musste, sich nicht auffressen zu lassen, da sie manchmal regelrecht ausgehungert vor Liebe waren. Auf der anderen Seite standen das Bildungssystem, das Schulgeschehen und die Bestrafungshandhabung an meiner Schule, das nicht in meinen Kopf wollte und schon gar nicht beim Anblick dieser kleinen Wesen. Doch wie geht man damit als Ausländer bzw. Gast in einem fremden Land um, ohne respektlos zu wirken? Schlaflose Nächte, ruhelose Tage, Lösungsvorschläge, die nicht anerkannt wurden… Flucht nach vorne. Ich wusste nun also, dass es nicht richtig geduldet wurde, wenn ich einen anderen Unterricht machte und da ich es einfach nicht mehr ertragen hab, habe ich dafür gekämpft in einem Arbeitsplatz und Raum zu wirken bzw. mir selber zu schaffen, der die Rechte des Kindes in Ehren hält. Und so bin ich sowohl zum Youth and Environment Club, als auch zu ChiFuLi und zur High and Vocational School gekommen.
Ghana heißt Entwicklung, nicht nur dass sich das Land immer mehr entwickelt und die Menschen, die in diesem Leben, sondern auch ich. Ich lerne hier immer mehr mich durchzusetzen, den Mund in den richtigen Momenten aufzubekommen und für das zu kämpfen, was mir wichtig ist! Ich bin ein Wesen zweier Welten geworden, in denen ich mich wohl fühle und zunehmend frei und sicher bewegen kann.
Ghana ist meine Zauberbohne an der ich wachse.
Sehr sehr schön geschrieben!
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