Sonntag, 4. September 2011

Fünf Sinne: Hören



Auf besonderen Wunsch meines liebsten Schwesterherzchens werde ich in diesem Post ungefiltert auf meine Sinneseindrücke eingehen, denn der Mensch, wie seit Jahrhunderten bekannt ist, definiert sich zumeist zwar durch seine Ratio, kann aber seine Existenz als Sinnenwesen und dessen Dominanz niemals leugnen. Also versucht euch einfach in mich hineinzuversetzen und meine Impressionen als die eurigen wahrzunehmen.

Hören
Zarte, spirituelle Stille – gibt es hier nicht. Ich denke oft an unseren Thüringischen Buchen- bzw. Mischwald in den Morgenstunden, wenn die Nacht noch verträumt zwischen, den Zweigen schlummert, die Tropfen des Taus die Gräser und Blätter für den anbrechenden Tag in vollen Grün erstrahlen lässt und die Feuchtigkeit des Bodens den Duft von Erde, Natur und Wald freigibt. Man lauscht in die Welt hinein und an das Ohr klingt eine beruhigende Stille. Nur wenn man die Luft anhält, darf man Zeuge des schüchternen Waldes werden, aus dem man leise einige Vogelklänge wahrnimmt. Ein Bild, das Eduard Mörike in seinem Gedicht Frühling versucht zu erfassen und bei all seiner sprachlichen Begabung, doch nicht vermag, die umfassende majestätische Allgegenwart eines für mich dort existierende Göttlichen, in seiner vollen Schönheit wiederzugeben. Noch viel stärker kommt dies im Winter zum Ausdruck, wenn der frische Schnee alles in einen langen Schlaf hüllt und das unversehrte Weiß auf die Reinheit und Unberührtheit hinweist.
Hier in der Natur zu sein bedeutet etwas vollkommen anderes. Wenn man es polytheistisch ausdrücken will, könnte man sagen, dass in unseren Wäldern der Gott der Spiritualität und Besinnung und hier der Gott des Lebens und der Üppigkeit zu Hause ist. Man steht in einem immergrünen Wald, dessen großen, Chlorophyll getränkten Pflanzen sich nicht nur um einen, sondern auch übereinen wie eine große Kathedrale erstrecken. Man hat fast den Eindruck, als wolle der Wald mit seiner Undurchdringbarkeit versuchen, seine Geheimnisse zu bewahren. Dem Neugieren wird nur durch ein musikalisches Konzert erlaubt, etwas über das vor dem Blick verborgene zu erahnen. Der Dirigent ist der Wind, der den Rhythmus durch das klangvolle säuseln der Blätter vorgibt. Der Takt wird von den tausenden Grillen und Fröschen angegeben, die einer lauter als der andere versuchen das Orchester der Gemeinschaft in vollem Glanze erstrahlen zu lassen. Die Violinen werden von den zahl- und facettenreichen Vögeln gespielt, die auch die schwersten und variierenden Melodien inbrünstig und voller Stolz spielen. Ein Konzert, das nicht nur durch seinen Klang bezaubert, sondern einen die Schönheit und Kraft des Lebens Tag und Nacht vor Augen führt.

Ähnlich verhält es sich in der Stadt bzw. in den Dörfern. Während Bleicherode und zahlreiche weitere Städtchen in Deutschland manchmal den Eindruck eines Dornröschenschlosses erwecken, auf dessen Bewohner sich vor 21 Jahren ein tiefer Schlaf legte und die nun in ihren Träumen hoffnungsvoll darauf warten, dass ein starker, junger Held sengende Hitze und eisige Winde übersteht, auf seinen weißen Ross angeritten kommt und den bösen Zauber bricht, fühlt man sich hier eher wie auf der großen Freudenfeier, die nach dem erlösenden Kuss zelebriert wird und auf der jeder das Leben an sich feiert. Die Stille eines verschlafenen Dörfchens wird schon allein durch das Orchester des Waldes, das von Nah und Fern durch die Straßen drängt, verbannt. Überall stehen, sitzen und laufen die Menschen, deren herzliches Lachen, Gespräche, Rufe oder aber auch Streitigkeiten die Wege belebt. Während man im Wald das Orchester der Tiere und der Natur genießen kann, schallt durch die Ortschaft das Konzert der Gemeinschaft. Überallher dringt eine laute Geräuschkulisse an das Ohr. Ich wohne hier in Nyakrom in einem Viertel namens Side. Das Haus steht auf einen Hügel und wenn ich abends auf der Terrasse sitze und die Nacht genieße, dann höre ich aus der Stad klingende, laute Gottesdienste. In einer unglaublichen Lautstärke schlängelt sich die ghanaische Hiplife- und Highlife-Musik den Hang zu mir herauf. Das Herz der Stadt schlägt mit den vibrierenden Trommelschlägen, die von irgendwoher schallen und das rauschende Blut wird durch leidenschaftliche Gesänge abgelöst. Die Grillen und Frösche, als stünden die verschiedenen Bigbands im Wettstreit zueinander, versuchen mit aller Kraft immer lauter zu werden um nicht überhört zu werden. Und dann, von dem gegenüberliegenden Hügel ertönen die magischen Gebetrufe einer Moschee. Die Melodie der Stadt heißt Leben.

Auch in unserem Haus, abgesehen von den Geräuschen der Natur und der Stadt, die durch den Innenhof und die offenen Fenster in jedem Moment allgegenwärtig sind, existiert keine Ruhe. Ab spätestens morgens um 6 Uhr beschallt Radiomusik oder der Fernseher durch die Gänge bzw. Zimmer. Wir sind hier zu neunt im Haus, weshalb immer jemand von Frühs bis spät abends redet oder irgendeinen Krach macht. Auch die Sprache Twi bzw. Fanti ist eine sehr kräftige, laute Sprache, weshalb sie immer intensiv und manchmal für mich etwas forsch ertönt. Vor kurzem hat mir Robin Ohropax gegeben, damit ich besser schlafen kann: Es war schrecklich. Ich fühlte mich hier so unwohl ohne die gewohnte Akustik, dass ich sie sofort wieder raus machen musste. Am Anfang war zwar die Geräuschexplosion ungewohnt und befremdlich, doch jetzt gibt sie mir ein Gefühl der Vertrautheit und Sicherheit, denn man weiß mit jedem Atemzug und Lauschen, dass man nicht allein und isoliert ist, sondern ein Teil des Lebens.

1 Kommentar:

  1. Hallo liebe Bianca,

    schreib mal wieder ein paar Zeilen, das Internet ist sonst so langweilig. Ich freue mich aber auch sehr über Deine Emanzipation von Europa, die sich durch das verringerte Schreiben zeigt. Viel Freude weiterhin.

    Dein Schwager

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