Sonntag, 4. September 2011

Please, turn off the light - Meine Erfahrung mit der "Lighthouse Chapel International"


Ghana ist super religiös, das ist ein Fakt. Jeder, aber auch wirklich jeder gehört hier einer religiösen Gemeinschaft zu. An den meisten Autos und Häusern findet man Gottesbekenntnisse. Eigentlich etwas schönes, jedoch sind auch einige sehr amüsante dabei. Auf einem fast auseinanderfallenden Taxi, dessen Fahrer einen selbst für ghanaische Verhältnisse rasanten Fahrstil hatte, stand in fetten Buchstaben: „Trust God“ und vor einer neu entstehenden Wohnsiedlung, in der ein Haus an dem anderen klebt und bei deren Bau nicht an fließend Wasser oder Kanalisation gedacht wurde konnte man: „God never fails“ lesen. So liegt es auch an der Tagesordnung, dass man sehr oft angesprochen wird, welcher Kirche man zugehört. Im Gegensatz zu meiner bisherigen Unterscheidung des christlichen Glaubens in evangelisch und katholisch, begegne ich hier mannigfacher Separationen. Es gibt hier tausende Bibelinterpretationen, nach denen tausende Kirchen gegründet werden. Sehr viele interessant finden sich hier runter, aber auch einige äußerst kuriose.

Vorgestern Abend saßen Robin und ich in einem Spot und erzählten, als zwei endzwanziger Männer sich zu uns gesellten. Es stellte sich heraus, dass Brother Kingsley und Isaac Prayer in der christlich religiösen Gemeinde namens Lighthouse Chapel International sind. Der Abend war wirklich sehr spannend! Ich, die ohnehin wahnsinnig interessiert an Überzeugungen, Begründungen und generell Religion - jedoch vor dem Hintergrund eines genauen Reflektierens – ist, lauschte den Worten des Brothers sehr genau, bis schließlich das immer häufiger werdende: „But…“, „Have you ever think about…“, „You have to sepperate…“, „There is a differenz…“ ertönte. Ein Wortgefecht folgte dem nächsten. Der Abend neigte sich dem Ende und ich ging nachdenklich ins Bett.

“Mr. Google knows everything!” (da hatte Frau Plaumann völlig recht) Daher konnte ich in Erfahrung bringen, dass die Lighthouse Chapel International 1985 von einem Medizinstudenten namens Dag Heward-Mills, dessen Vater Ghanaer und Mutter Schweizerin ist, gegründet wurde. Zuerst war es nur ein kleiner Gebetskreis, dann machte er sich selbst zum Prediger, dann zum Reverand und schließlich `94 zum Bischof. Nach seiner Vorstellung ist Europa gottlos, daher auch der Name Lighthouse, denn der Glaube soll allen Verlorenen Seelen als Leuchtturm in der Finsternis dienen. Ziel ist die Wiedermissionierung Europas: „The spiritually alive sections of the world have shifted from Europe to the poorer and more deprived parts of the world. Today, Europe is the seat of Satan, with most people of the continent being atheist or non-believers. There is now a great need for us to reach out to such parts of the world. […] It looks as through the responsibility of spreading the Gospel has shift from Whites to men of colour.” (Vgl. Dag Heward-Mills: Win the Lost at any cost, Perchment House 2001, S. 52).
Leben wäre nur halb so spannend, wenn man sich nicht auf Neues einlassen kann. Daher gingen Robin und ich gestern in die Freitagabendmesse. Eigentlich traue ich mich gar nicht die Geschehnisse niederzuschreiben, da ich hier wirklich keine Vorurteile erschaffen will, aber es war so prägend, dass ich es einfach mitteilen muss.

Die Messe sollte eigentlich um 19.00 Uhr beginnen und eine Stunde dauern. Da wir gerade als wir gehen wollten von Madame Sey noch zum Fufu eingeladen wurden, waren wir erst kurz vor acht da. Überraschenderweise waren wir die ersten, denn es hatte noch gar nicht angefangen. Die „Kirche“ oder besser Gemeindehaus – da es nicht mit meiner Vorstellung von Kirche konform geht – war eine Bretterhütte mit Wellblechdach, die kaum größer als mein erstes WG-Zimmer war. Vorne stand ein kleines Rednerpult in der Mitte, rechts eine übergroße, alte Box und links ein Keyboard und zwei Trommeln. Wir wurden wahnsinnig freundlich begrüßt und dann auf zwei der ca. 30 Plastegartenstühle platziert. Wir saßen also direkt an der Tür, weshalb ziemlich schnell eine riesen Traube von Kindern um die Kirche stand und uns beobachtete. Dann ging es los:

Brother Kingsley und Isaac schnappten sich die Mikrofone und summten, schrien, ´sangen‘. Und jetzt stelle man sich einen Polly Pocket großen Raum vor, in  dem man lediglich 2 Meter von dem Redner getrennt sein kann und dann kann man mein Gefühl, das ich hatte, sehr leicht erraten, als das ohnehin ohrenbetäubende Geschrei durch eine riesige, übersteuerte und total kratzende Box in einer Lautstärke, die man wahrscheinlich auch noch in der Schweiz hörte, denn da gibt es das Lighthouse auch, an meine scheuen Ohren drang. In diesen Krach stimmten noch Gemeindemitglieder ein, die nach einer nicht erkennbaren Rhythmik schreiende, herauspressende Laute von sich gaben, oder unkontrolliert Tasten des Keyboards drückten, bzw. manchmal konnte man die Tonleiter erklingen hören. Die Tatsache, dass irgendetwas nicht mit dem Lautsprecher funktionierte und daher ständig die kratzenden Stimmen unterbrochen und durch ein lautes Rauschen abgelöst wurden, ließ mich noch mehr an der Seriosität der Veranstaltung zweifeln. Selbst wenn ich geschrien habe, konnte mich Robin, der direkt neben mir saß, nicht verstehen. Als wenn das nicht schon als Tageserfahrung reichen würde, multiplizierte sich die Kuriosität der Veranstaltung durch den Ablauf und Inhalt der Messe, denn das war erst der Anfang.
Sechzig Minuten sollte die Freitagabendmesse dauern. Die ersten 15 Minuten wurden mit der eben beschriebenen Szenerie ausgefüllt. Nachdem die eben erläuterte Aufwärmphase beendet wurde, folgte der erste Teil der Predigt, der von Brother Kingsley gehalten wurde und 4 Minuten dauerte. Genau wie zuvor fiel das Mikro, denn er konnte ja seine Rede nicht normal halten, denn dann hätten ihn die Menschen des ganzen Umkreises nicht hören können, permanent aus. Er musste sich deshalb selbst unterbrechen und wirkte ziemlich an genervt. Aufgrund der bisherigen Szenerie saß ich auf meinen kleinen Plastestuhl und schmunzelte ein wenig in mich hinein. So leid es mir wirklich tat, konnte ich mir jedoch ein Lachen bei dem darauffolgenden 30-minütigen musikalischen Programm nicht verkneifen. Die beiden Brothers stimmten wieder ein, doch diesmal durfte jeder mitmachen. Also schnappte sich jeder der 8 anwesenden Gemeindemitglieder irgendein Instrument (Pakaschen, Trommeln, Keyboard) oder Mikro und stimmte sich mit eigenen Gesängen und Schreien ein. Alles wurde durch Tanzen begleitet. Den Rhythmus konnte man jedoch nur durch einen kleinen ca. 5-jährigen Jungen finden, der auf zwei Trommeln in solch einer Genauigkeit und Perfektion spielte, dass einem die Kinnlade runter gefallen ist. Leider wurden diese beeindruckenden Klänge durch die Schreie, Rufe, technische Fehler, etc. permanent überlagert. Ein ganz kleiner, süßer Junge, der zuerst noch von seiner Mum auf den Rücken getragen wurde, erforschte nun die Welt. Er hatte gerade erst Laufen gelernt und wackelte unsicher aber sehr zielstrebig durch die tanzende, ekstasierte Menge hindurch direkt zu den Trommeln, an denen er sich dann fest hielt bzw. selber an den Trommelkörper trommelte. Er war so niedlich und bildete mit seiner ruhigen Erscheinung ein komplettes Gegenbild.
Während der bereits vergangenen Messe, sammelten sich immer mehr Kinder am Eingang des Gemeindehauses, denn in Nyakrom sind wir mit unserer weißen Hautfarbe ein seltener Anblick. Die Anzahl der Kinder, die uns mit interessierten Blicken verfolgten, erreichte ein Optimum von 40 und mehr, als wir uns in das Programm einbringen sollten, d.h. auch tanzen, singen oder ein Instrument spielen. Tja, gesagt getan: wir haben uns voll zum Klaus gemacht. Alles schien so surreal zu sein bzw. ist es auch jetzt noch für mich. Irgendwann nahm dann die Einlage sein Ende und man saß wieder auf den Stühlen. Jetzt folgte eine ca. 10-minütige Predigt von Brother Isaac. Diesen Part fand ich sehr spannend, denn sie erfolgte in Twi oder Fanti – da bin ich mir nicht so sicher. Ich konnte also keines seiner Worte verstehen, jedoch erfolgt Kommunikation nicht nur durch das verstandene Wort. Die Sprachunwissenheit gab mir die Möglichkeit, mich auf Pragmatik, Akustik und non-verbale Kommunikation zu konzentrieren. Brother Isaac, ein schmaler, junger Mann, der einen halben Kopf kleiner ist als ich und mir gegenüber immer sehr zurückhaltend war und dessen englische Worte immer sehr leise an mein Ohr treffen, tigerte nun, das Mikro in der Hand haltend im vorderen Bereich des Gemeindehauses rum. Die weichen Gesichtszüge verschwanden und ungehalten, wild gestikulierend schrie er seine Predigt ins Mikrofon. Zwischendurch hörte man gelegentlich ein paar Leute jubeln. Alle 20 Sekunden ertönte von ihm ein „Halleluja“, was die Menge kopfnickend mit einem lauten „Armen“ kommentierte. Ich fragte Brother Kingsley, was denn der Inhalt der Rede sei und er übersetzte mir, dass erst wenn man sich Gott völlig hingegeben hat, man sich auch selbst genießen kann. Auf die Frage was noch gesagt wird, wiederholte er seine Übersetzung nur.

Endlich fand das Spektakel ein Ende und ich fühlte mich erlöst. Ein paar Mädchen stürmten noch zu mir und händeschüttelnd unterhielten wir uns noch und tauschten wie üblich Nummern aus.
Es dauerte noch eine ganze Weile, bis mein Gehör sich wieder erholte. Nachdem Robin und ich die Impressionen ein wenig verdauten und zu reflektieren begannen, wurde ich von ein paar Kindern zum Zuckerrohrkauen eingeladen, was mich die kuriosen Geschehnisse vergessen ließ und mich in die Realität zurück holte: Ich bin genau da, wo ich auch sein will!

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